Dr. Astrid Freudenstein – Authentizität ist ein Ernstnehmen und Wertschätzen des andern

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Interview Dr. Astrid Freudenstein

Brückengespräch am 20. Juli 2016

Gebürtig in Niederbayern, wohnhaft in Regensburg, politisch zuhause in Berlin, bestimmt nicht nur gedanklich aufgrund des Amtes viel unterwegs – wo erfahren Sie Ruhe, wo halten Sie sich am liebsten auf und was hilft Ihnen im Alltag, zur Ruhe zu kommen?

dr-astrid-freudensteinAstrid Freudenstein: Ja sicher zuerst einmal meine Familie. Daheim ist auch politikfreie Zone und wenn ich da die Tür hinter mir zumache, dann kehrt so ein bisschen Ruhe ein. Ich bin dann auch am liebsten an der Donau, weil ich dort wohne und Flüsse sehr gern mag – in Berlin wohne ich übrigens an der Spree. Und das ist etwas, was mir Ruhe gibt, denn ich bin tatsächlich viel unterwegs. Ruhe finde ich außerdem im Urlaub, für den ich mir auch immer wieder Zeit nehme. Ansonsten lässt mein Leben momentan wenig Raum für Ruhe, weil ich viel unterwegs und auch mit vielen Themen belegt bin. Da gibt es eine große Fülle an Themen, die mich beschäftigt und auch schwierige Themen, die mich nachdenklich machen. Und treffe ich so viele verschiedene Menschen, mit denen täglich etwas Neues dazukommt – aus ganz unterschiedlichen Bereichen, sei es aus dem Kommunalen und meinem Amt als Stadträtin oder auch größere Themen aus Berlin, wo ich schwerpunktmäßig Behindertenpolitik betreibe.

Ich weiß natürlich, dass ich Ruhe benötige, um überhaupt überlegen zu können, auch wenn mein Alltagsgeschäft dafür wenig Raum lässt. Die Zeit und den Raum dafür muss ich mir dann frei schaufeln.

Sie sind Mitglied der Union, also einer Volkspartei, die in meiner Wahrnehmung manchmal etwas behäbiger wirken und den Eindruck vermitteln, schwerer veränderbar zu sein. Sie sind jedoch eine junge Politikerin mit Ausstrahlung – sehen Sie das vielleicht gar nicht so und was brauchen Sie, um sich mit Ihrer Individualität dort zu bewegen und wo möchten Sie gern die Hebel Ihres Wirkens ansetzen, inner- wie außerparteilich?

dr-astrid-freudensteinAstrid Freudenstein: Also ich glaube, dass die Strukturen innerhalb meiner Partei ungewöhnlich behäbig wären. Ich glaube, dass die Politik an sich relativ starre, unveränderbare Strukturen hat. Das wiederum betrifft alle Parteien. Alle, die mit dem Anspruch antreten, gegen die Struktur zu schwimmen, passen sich entweder relativ rasch an oder scheitern. Die „Piraten“ gibt´s quasi nicht mehr und alle anderen im Bundestag sind relativ angepasst. Ich weiß keine, die dagegen opponieren würde und das hat auch seinen Grund. Ich glaube, dass es in dieser Weise auch funktionieren muss, weil es ein riesiger Betrieb ist und den Ehrgeiz, grundlegende politische Strukturen zu verändern habe ich gar nicht. Diese Strukturen sind nicht immer ganz angenehm, aber ich glaube, dass sich jeder damit arrangieren können muss, wenn er damit arbeiten möchte. Wie Entscheidungen zustande kommen; sachliche Entscheidungen; Personalentscheidungen – da trete ich nicht mit dem Anspruch an, politische Strukturen in ihrem Funktionieren zu verändern.

Und was die Partei angeht: da kann ich nicht finden, dass die CSU sehr behäbig ist. Das ist nicht mein Eindruck. Volksparteien haben ja immer den Anspruch, ganz vielen Menschen zu entsprechen – das ist das Schöne an ihnen und deswegen bin ich Mitglied dieser Volkspartei. Ich will die Herausforderung haben, mit ganz vielen Menschen in Kontakt zu kommen und eine Lösung zu finden, die für möglichst viele in Ordnung ist. Klientelparteien haben es da leichter, denn die haben gar nicht den Anspruch, alle zufrieden zu stellen, so wie wir ihn haben. Dieser Anspruch aber macht Politik um ein vieles spannender – und auch spannungsvoller, weil jede Volkspartei auch viele verschiedene Gruppierungen in sich trägt. Da ist man nie einer Meinung; da wird ständig darum gerungen. Mal heftiger, mal ruhiger. Und natürlich gibt es bei manchen Entscheidungen im Bundestag z.B. auch den „Fraktionszwang“ – das ist aber auch ein Instrument, das ich für mich zu nutzen weiß, wie bei der „Künstlersozialversicherung“ und es ist schon toll, wenn bei einem Thema, das nicht zu den Lieblingen der Partei gehört, die Fraktion geschlossen dafür stimmt. Ich greife also auch drauf zurück und ich glaube, dass das etwas ist, was man braucht, damit Politik im Großen überhaupt funktioniert. Ich habe aber auch nie erlebt, dass ich, wenn ich mit fachlichen Argumenten arbeite, keine Chance hätte, ein Anliegen durch zu bringen. Im Gegenteil bin ich der Überzeugung: wenn die richtigen Leute mit den richtigen Argumenten für die richtigen Sachen werben, dann funktioniert das auch.

Germanistik, Geografie, Wirtschaft, 12 Jahre beim Bayrischen Rundfunk im Hörfunk-Bereich, Lehramtsstudium, ein Lehrauftrag an der Uni Regensburg, jetzt Politik, dazu Mutter – sehr vielseitig, diese Arbeitsbiografie. Was davon tun und sind Sie am liebsten und was braucht es, um Sie zu fordern, sie sogar zu stressen?

dr-astrid-freudensteinAstrid Freudenstein: [Anm.: Frau Dr. Freudenstein lacht herzlich] – Na ja, also das Gefordertsein reicht schon. Dazu muss ich aber sagen, dass ich auch viel Glück habe. Ich könnte das alles gar nicht miteinander vereinbaren, wenn uns der liebe Gott nicht ein unkompliziertes, gesundes Kind geschenkt hätte. Gelegentlich wundere ich mich selber, dass das alles so funktioniert, aber ich habe zum Glück auch einen Mann, der mir den Rücken stärkt und ohne ihn ginge es auch nicht. Und es ginge auch nicht ohne die anderen Menschen, die mich unterstützen, sei es die Familie, Freunde oder andere in der Partei. Und dann muss man sich natürlich auch organisieren können und Prioritäten setzen. Wenn mein Sohn krank wäre, würde ich immer heim fliegen/fahren – er ist nur nie krank.

Mein Lebensweg war außerdem gar nicht so geplant. Ich habe einfach studiert, was ich interessant fand und meine Studienkombination führt auch nicht zwingend in ein Berufsprofil. In einem „Freundebuch“ habe ich in der siebten Klasse noch angegeben, Reiseleiterin werden zu wollen. Später habe ich mich dann auch einmal auf einen Medizinstudienplatz beworben – aber es passt. Ich bin im Nachhinein ganz glücklich mit dem, was ich getan habe. Und am wichtigsten war mir immer meine Familie – das ist klar und das ist ja bei jedem Menschen so. Meine Familie ist meine Priorität und der Rest lässt sich schon organisieren.

Mit 31 Jahren in die Politik, seit 2008 im Regensburger Stadtrat, seit 2013 im deutschen Bundestag und dort u.a. mit dem Vorsitz der deutsch-kroatischen Parlamentariergruppe. Das hat mich in der Vorbereitung aufhorchen lassen – wie kommt es dazu? Und eine zweite Frage im Zusammenhang Ihrer politischen Positionen: welche Werte sehen Sie in der Union vertreten?

dr-astrid-freudenstein-7825Astrid Freudenstein: Um ehrlich zu sein: der Vorsitz der deutsch-kroatischen Parlamentariergruppe wurde zugeteilt. Es gibt eine Ordnung, wie die Vorsitze der Parlamentariergruppen aufgeteilt werden. Insgesamt gibt es über 50 und damit entfallen auf jede Fraktion so und so viele Vorsitze, genauso wie auf die CSU-Landesgruppe. Manche davon waren dann schon von männlichen Kollegen besetzt und für die deutsch-kroatische hat Frau Gerda Hasselfeldt dann eine Frau gewählt. Sonst gibt es keine Verbindung. Ich bin da zwar öfter im Urlaub, hab aber keine Verwandten dort. Leider kann ich also keine tiefergehende Begründung dafür liefern. Die Gruppe an sich ist aber sehr spannend. Kroatien ist das jüngste EU-Mitglied mit relativ großen wirtschaftlichen und politischen Problemen und insofern ist es ein wirklich schönes Nebenamt, das ich da bekommen habe.

Und die Union: also, ich war 30 Jahre als ich Mitglied geworden bin und das ist relativ spät. Grundsätzlich bin ich jedoch vom Elternhaus her schon politisch geprägt. Wir waren fünf Kinder daheim und mein Vater war über 30 Jahre in der Kommunalpolitik aktiv und er hatte eine große Freude daran, mit uns Kindern über Politik zu reden. Ich kann mich immer nur daran erinnern, dass wir am Familientisch immer über Politik geredet haben. Gar nicht so sehr über niederbayerische Kommunalpolitik, sondern über die weltpolitischen Ereignisse. Die „Tagesschau“ war z.B. eine heilige Viertelstunde für meinen Vater. Und so hat es sich ergeben, dass bei der letzten Kommunalwahl in Bayern von uns fünf Kindern vier auf einer Parteiliste zur Wahl gestanden sind. Es scheint also schon eine familiäre Prägung zu geben. Und bei mir wurde es deswegen die CSU, weil ich die christliche Grundprägung von meinem Menschenbild her wichtig finde. Weil ich das Grundmaß der CSU teile, die davon überzeugt ist, dass jeder Mensch eine Chance kriegen und dass jedem, der zu schwach ist, geholfen werden muss; dass aber auch jeder für sich selber verantwortlich ist. Und weil ich die Liberalität der Union schätze, die eine große Offenheit in viele verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen besitzt und was dem Anspruch einer „Volkspartei“ entspricht.

Auch wenn sich die Verhältnisse nicht vergleichen lassen, so stellen doch die Ereignisse in der Türkei und den USA, in denen politische Kämpfe toben, immer auch die Glaubwürdigkeit der Politik im Ganzen in Frage. Was hilft denn Ihnen, in Ihren Aufgaben und Rollen authentisch zu bleiben und was von Ihren Rollen lassen Sie draußen, wenn Sie zuhause die Tür hinter sich schließen?

dr-astrid-freudensteinAstrid Freudenstein: Ich glaube, man kann authentisch sein, wenn man unabhängig bleibt von der Politik. Ich weiß immer, ich habe auch einen Beruf, wenn ich mal nicht mehr politisch aktiv sein sollte. Ich hatte 30 Jahre Leben vor der Politik, und das war kein schlechtes. Und auch in den 40 Jahren vor dem Bundestag ging es mir sehr gut. Mir ist also bewusst, was ich momentan für dieses Politikerdasein opfere und wenn ich daran denke, dass ich das nicht mehr machen würde, dann würde ich halt was anderes machen. Die Unabhängigkeit schenkt mir also Authentizität, weil ich mir denke: was soll mir schon passieren. Mir ist aber auch bewusst, dass das eine sehr privilegierte Situation ist. Authentisch zu sein heißt für mich aber auch, andere Menschen, die anders denken und argumentieren, anzuhören, zu akzeptieren, dass es diese Haltung auch gibt und dass diese Haltung sehr fundiert sein kann und nachvollziehbar und meiner Position nicht unterlegen ist. Authentizität ist also auch ein Ernstnehmen und Wertschätzen des andern. Und das ist es auch, was ich an Berlin so spannend finde: wie andere Menschen in der gleichen Sache völlig anders argumentieren als ich das tue. Da kann ich ja nur profitieren. Ich muss das nicht annehmen, aber es ist politisch total spannend, dass es zum gleichen Thema völlig andere Meinungen gibt, die auch logisch durchargumentiert sind.

Und was lassen Sie draußen, wenn Sie die Tür zuhause schließen?

Astrid Freudenstein: Es gibt einfach eine Reihe von Konventionen, die man zuhause nicht einhalten muss. Ich freue mich z.B. nach einer Woche in Berlin total, wenn ich zuhause einfach nur am Essenstisch sitzen kann, ohne mit jemandem reden zu müssen. Das ist total entspannend! In Berlin sind es immer nur berufliche Essen mit den immer gleichen Schnittchen vom immer gleichen Caterer. Und zuhause muss ich nicht immer gedanklich voll präsent sein, sondern kann einfach nur sitzen. Das ist echt schön! Und dann bemühe ich mich auch bewusst darum, hinter mir zu lassen. Schon auf dem Weg vom Flughafen heim höre ich bewusst keine Wortprogramme im Radio, sondern nur Musik und ich telefoniere eigentlich auch nicht. Auch das grenzt mich ab.

Sie sind beruflich breit aufgestellt und nicht von der Politik abhängig. Trotzdem leben Sie Ihren Beruf mit großem Engagement und großer Authentizität. Für welche Kernthemen steht denn „Dr. Astrid Freudenstein“? Was schreiben Sie sich auf Ihre ganz persönliche Fahne?

dr-astrid-freudensteinAstrid Freudenstein: In Berlin ist ja so, dass man mindestens einem Ausschuss angehört, in meinem Fall sogar zwei. Und innerhalb des Ausschusses konzentriert man sein Gebiet noch mal. Jetzt bin ich im Ausschuss „Arbeit und Soziales“. Da wollte ich hin, weil da alle Themen drin sind, in denen das Leben der Menschen so richtig greifbar ist. Renten- und Arbeitsmarktpolitik sind da Beispiele oder auch die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt oder Mindestlohn. Und da sieht man schon, dass das ein riesiger Bereich ist. Innerhalb dieses Bereichs habe ich mir dann bewusst die Behindertenpolitik ausgesucht, weil ich da durch einzelne Entscheidungen wirklich was verändern kann. Momentan bin ich zB. mit einem Gesetz beschäftigt, das 700.000 Menschen mit geistiger, körperlicher oder seelischer Behinderung in Deutschland betrifft. Wenn alles gut geht, wird das auch in diesem Jahr noch verabschiedet und da bin ich wirklich an einer Position, wo ich was bewegen kann in dieser Welt und das ist doch der innerste Antrieb von jedem Politiker. Das ist schon sehr befriedigend und im Bereich der „Sozialpolitik“ gab es schon einige Themen, die dann zwar nicht in der Tagesschau oder groß in der Presse sind, aber mit denen ich heim gehe und ich weiß: das ist deswegen so, weil ich da dabei war. Deswegen mache ich Politik. Und da bin ich in Berlin endlich in einer Position angekommen, wo sich auch was verändert. Und deswegen ist es auch mein erklärtes Ziel, vier weitere Jahre in Berlin sein zu dürfen, weil ich dann, nach dieser längeren Einarbeitungszeit in diese für mich 2013 so neuen Strukturen, endlich mal vernünftig arbeiten und umsetzen könnte. Bis zum Ruhestand möchte ich das jedoch auch nicht machen. Das ist schon auch wirklich sehr anstrengend!

Wir sind bei den politischen Kernthemen angekommen – meine letzte Frage geht aber über diese hinaus. In Ihren Biografien lese ich immer wieder und etwas betont, dass Sie religiös „römisch-katholisch“ orientiert sind. Sie sind auch Mitglied bei den „Christsozialen“ [Anm.: CSU] und da denk ich mir: ja, auch ich bin Theologe und kirchlicher Mitarbeiter und habe trotzdem auch eine eigene Spiritualität und Geisteshaltung entwickelt. Wie steht es um Ihre persönliche Lebensausrichtung? Was sind da zentrale Leitlinien, auch in spiritueller Hinsicht und was davon möchten Sie Ihrem Sohn mitgeben, um „Mensch“ zu werden?

dr-astrid-freudensteinAstrid Freudenstein:  Ich verstehe Ihre Frage vor dem Hintergrund, dass Sie ja Theologe sind. Ich selber bin aber eher pragmatisch orientiert und bemühe gar nicht gern die „Wertediskussion“. Ich mag Menschen gern und ich handle so und meinen Maßstäben entsprechend, dass für die Menschen was Gutes raus kommt. Das hänge ich nicht philosophisch auf. Grundlegende Werte sind aber sicher die der Humanität und der eigenen Verantwortung. Ich möchte den Menschen Chancen geben und auch zwei oder drei und da dann aber auch eine Grenze ziehen. Und meinem Sohn möchte ich in dieser Hinsicht mitgeben, dass er sich anständig und respektvoll anderen gegenüber verhält und sie in ihren Grundhaltungen ernst nimmt. Dazu gehört auch sicher, sich an Regeln zu halten und sich Dinge anzuhören, bevor man sich eine eigene Meinung bildet. Das alles findet sich in den Grundwerten der Union wieder. Aber ich möchte da keine Diskussion führen und einen gedachten, ethischen Überbau formulieren. Ich handle lieber als drüber zu reden. Und ich bin auch tatsächlich Katholikin und gehe in die Kirche und das nicht nur an Ostern und Weihnachten und bin trotzdem nicht mit allem einverstanden, was „kirchlich“ ist. Damit meine ich ausdrücklich nicht nur die Amtskirche, sondern auch in den politischen Diskussionen die Dauerkritik kirchlicher Sozialverbände. Ich wünsche mir für meinen Sohn, dass er ein Mensch wird, der lernt hinzuhören und seine Meinung zu formulieren. Ich wünsche mir für meinen Sohn aber keine politische Laufbahn. [Anm.: wieder herzliches Lachen allerseits]

Interview: Benedikt Ströher
Fotos: Georg Schraml

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