Interview mit der Buchautorin Andrea Maria Schenkel – Brückengespräch am 14. Oktober 2015 |
Andrea Schenkel über ihr neues Buch „Als die Liebe endlich war“: (erscheint Anfang März 2016, 400 Seiten), kein Krimi und: alles beginnt in Regensburg |
Sie lieben Archive und Museen, genauso wie Friedhöfe und alte Tageszeitungen. Als Ihren Interviewort haben Sie sich die „Ostdeutsche Galerie“ gewünscht, in der wir uns auch befinden. Auch die Verbrechen, die Sie in Ihren Romanen entfalten, liegen oft viele Jahre zurück. Was reizt Sie an diesen Knotenpunkten, die im Heute vom Gestern erzählen?
Andrea Maria Schenkel: Es sind ganz einfach die Menschen, von denen ich glaube, dass sie sich auch über die Generationen nicht verändern. Es sind immer wieder die gleichen Geschichten, die uns im Heute wie auch Gestern begegnen und auch die Probleme, mit denen wir jetzt konfrontiert sind, finden wir genauso früher. Der einzige Unterschied ist, dass sich die Welt durch die modernen Medien und die schnelle Kommunikation verkleinert und beschleunigt hat. Der Vorteil von alten Geschichten ist nur der, dass man sich mehr Zeit lassen kann, auf sie zu blicken, weil der Wandel der Geschichte träger, also der Fluss der Dinge langsamer ist. Vom Grundsatz her sind die Inhalte jedoch immer die gleichen.
Mitte Oktober wurde die Frankfurter Buchmesse eröffnet – ebenfalls einer dieser Orte, an dem viele Brücken geschlagen werden. Zwischen Verlagen, Autoren und Lesern genauso wie zwischen den verschiedensten Genres und Zeiten. Worauf liegt Ihr Hauptaugenmerk bei Ihren Besuchen auf Messen und wie müssen wir uns Ihren Tagesablauf dort vorstellen?
Andrea Maria Schenkel: Es ist so, dass ich nie als Besucher hingehe, sondern immer nur als Autor. Und als Autor habe ich dort den Vorteil, dass alle Pressevertreter vor Ort sind. Der Nachteil ist aber auch, dass ich von einer Veranstaltung zur nächsten hetze, dass diese Messetage wirklich lang sind und ich spätabends ins Bett falle, um am nächsten Tag wieder einigermaßen fit zu sein für die nächste Terminflut. Für mich ist das eigentlich ein reines Businesstreffen, bei dem der Verlag für seine Ausgaben für die Autoren auch einen Umsatz in Form von Bücherverkäufen erwartet. Wenn ich als Autor geladen werde, dann muss ich deswegen auch arbeiten. – Ich habe es bisher noch nie geschafft, mir einmal die Messe anzuschauen, weder in Frankfurt noch in Leipzig.
Das Besondere an Ihren Romanen ist ja auch, dass Sie nicht um eine zentrale Figur eines Ermittelnden, eines Detektivs geschrieben sind. Sie erzählen gern aus wechselnder Perspektive und öffnen so den Blick des Lesers. Ist das eher eine literarische Eigenheit, die Ihnen Raum zur Kreativität lässt oder sehen Sie darin auch eine Möglichkeit, Ihrer Leserschaft einen eigenen Zugang zu Ihrem Werk zu ermöglichen?
Andrea Maria Schenkel: Im Alltag nimmt man ja meistens seine eigene Position ein. Man sieht eine Geschichte oder Szene aus seinem eigenen Blickwinkel und hält diese für objektiv. Aber wenn ich sie aus einer anderen, fremden Perspektive betrachte, wenn ich mich in eine andere Person hineinversetze, dann eröffnet sich ein wesentlich breiteres Spektrum. Dann muss man zwar diesem Blick nicht folgen, aber man versteht den Vorgang, die Szene besser.
Dieses verschiedene Beleuchten aus unterschiedlichen Blickwinkeln ist aber auch Teil meiner Person, das ist ganz klar. Ich weigere mich, schon seit ich Kind bin, die Welt in schwarz und weiß zu sehen, weil es so einfach nicht ist. Es gibt nicht das Gute und es gibt nicht das Böse. Es gibt unheimlich verschiedene Facetten und Grautöne und Nuancen dazwischen. Das vergessen wir Menschen leider zu, weil wir denken, dass etwas so und nicht anders sein soll und das widerstrebt mir schon immer und auch heute noch. Es ist also schon stark mit meiner Person verbunden und wenn man so sagen will, schreibe ich hier autobiografisch. Es ist vielleicht auch ein Mahnen, das den Leser ermutigen soll hinzuschauen, seinen eigenen Standpunkt zu überprüfen. Wir Menschen sind fähig dazu, uns immer wieder zu verändern, andere Blickwinkel einzunehmen und anderen Argumentationen zuzuhören. Unser Bild ist nie fertig!
Ihre Kriminalromane beruhen meist auf einer tatsächlichen Begebenheit oder entwickeln sich vor deren Hintergrund. Haben die Bücher trotzdem auch etwas mit Ihrem Leben zu tun? Flechten Sie manchmal sogar Autobiografisches ein und sei es nur, dass Sie von Ihrem Blick auf die Realität, Ihrem Erleben erzählen? Und wie schaffen Sie es, beim Schreiben nicht zu sehr in den Geschichten Ihrer Bücher aufzugehen?
Andrea Maria Schenkel: Autobiografisch ist eigentlich nichts – nichts und alles, könnte ich sagen. Ich war Gott sei Dank noch nie in einer Situation, in der die Menschen in meinen Krimis waren und da möchte ich auch nie hineingeraten. Trotzdem ist es witzig: Außenstehende, in diesen Fällen Familienmitglieder, finden Szenen aus meinen Büchern wieder, so dass sie sagen: hey, das ist doch die Oma, von der du da schreibst oder: das hast du doch auf mich bezogen! – ohne, dass ich das so beabsichtigt hätte. Also entweder passiert das wirklich durch mein Unterbewusstsein oder es ist so, dass sich das Umfeld damit identifiziert. Ich weiß es nicht. Wie viel „Autobiografisches“ drin steckt, müssen also auch Außenstehende beurteilen.
Und das mit dem Loslassen von Geschichten ist auch nicht ganz einfach. Das jetzige Buch liegt mir sehr am Herzen und ich hab lange dran gearbeitet. Über lange Zeit habe ich mit viel Energie und viel Liebe für diese Charaktere daran geschrieben – bis ich mich an diesen Prozess innerlich herangetraut habe, habe ich acht, neun Jahre gebraucht! Und als ich im Sommer 2015 den Roman fürs Erste beenden konnte, bin ich – ich war gerade in Amerika – raus aus meiner Wohnung und runter zum Meer. Ich wollte einfach nur noch raus und runter zum Meer und hab die 20 Minuten Fußweg durch diese Ortschaft einfach nur geheult wie ein Schlosshund. Ich konnte einfach nicht anders. – Zum Einen war das die Erleichterung und zum Anderen war es ein Abschiednehmen von diesen Figuren. Ich wusste, dass noch unheimlich viel Arbeit vor mir liegt bei diesem Buch, aber bis zu diesem Zeitpunkt haben diese Personen nur mir gehört, waren nur in meinem Kopf. Sie waren für mich wie reale Personen, die tatsächlich gelebt haben, obwohl es sie so nie gegeben hat. Auf dem Weg runter zum Meer wurde mir bewusst, dass ich deswegen Abschied nehmen muss und es war Freude und Trauer und alles in einem. Auch jetzt noch ist dieser Moment kaum zu beschreiben, weil alles durcheinander gegangen ist und das war unglaublich emotional. – Das Distanzieren von Figuren ist nicht immer einfach …
Von Ihren Werken gibt es nicht nur Hörbücher – Sie lesen diese Hörbucher oft auch selbst. Darüber hinaus veranstalten Sie sehr gerne Lesungen und treten so in Austausch mit Ihren Lesern. Was macht für Sie einen guten Autor aus? Was gefällt Ihnen an der Arbeit Ihrer KollegInnen und was sehen Sie kritisch?
Andrea Maria Schenkel: Ich möchte nur von mir ausgehen und möchte die Arbeit meiner KollegInnen nicht kritisieren. – Ich glaube, dass jeder Leser merkt, ob jemand ein Buch aufrichtig und ehrlich schreibt; dass jeder Leser merkt, ob die Geschichte wahrhaftig ist. Er merkt es, wenn ein Dialog schlampig ist; wenn eine Geschichte fahrig oder schnell erzählt wird und er verliert das Interesse. Und ich glaube auch, dass nur diese Geschichten auf Dauer Bestand haben, die man mit Liebe und Wahrhaftigkeit erzählt. Diese Geschichten machen vielleicht nicht das schnelle Geld oder verursachen den großen Hype, aber ich glaube auch, dass kommerzielle Geschichten hauptsächlich erzählt werden, um einen bestimmten Markt, eine bestimmte Mode zu bedienen. Und ich glaube, dass diese Geschichten sehr vergänglich sind und dass sich in 15 oder 20 Jahren niemand mehr an sie erinnern wird. Das gab es ja auch schon in der Vergangenheit so. Eine Geschichte jedoch die berührt, die aufrichtig und mit Liebe erzählt wird, die bleibt bestehen. – Mir ist schon bewusst, dass nur ganz wenige Geschichten `Klassiker´ werden, aber ich hoffe darauf, dass eines oder zwei meiner Bücher irgendwann einmal dazu gehören wird. Das ist für mich natürlich ein Antrieb. Darüber hinaus ist es für mich als Leser dann ein gutes Buch, wenn ich es zuklappe und es weitergeht; wenn ich mir darüber Gedanken mache oder wenn es mir nach Monaten und Jahren plötzlich wieder in den Sinn kommt, vielleicht auch nur in einer klitzekleinen Szene. Die Geschichte, die mir ein Autor erzählt, muss mir was geben und die muss ich für mich mit meinem Leben verbinden können. Es muss eine gute Erinnerung sein und mich so erinnern, als hätte ich es selbst erlebt. Ein gutes Buch wird praktisch Teil meines Lebens und das schafft es nur, wenn es auch Teil des Lebens des Autors war und der Autor es mit Herzblut erzählt hat. Sonst funktioniert es nicht.
Mit „Als die Liebe endlich war“ erscheint im März 2016 ihr sechstes Buch. Was bedeutet es für Sie, Bücher zu schreiben?
Andrea Maria Schenkel: Es ist Teil meines Lebens und ich könnte mir nicht vorstellen zu leben, ohne zu schreiben, ohne Geschichten zu erzählen. – dabei ist es jedoch nicht so, dass es immer nur Freude ist. Es ist Anstrengung, es laugt aus, es ist oft auch frustrierend; vor allem ist es ein riesen Berg, wenn man eine Geschichte anfängt und man zweifelt schnell an sich selbst. Auch wenn ich schon mehrere Bücher geschrieben habe, macht es das nicht automatisch leichter. Geschichten sind immer abgeschlossen und haben einen Beginn. Und wie ist es mit der Idee? Ist die überhaupt tragfähig? Kann sie die Geschichte transportieren? Und wie steht es um die Protagonisten? Kann ich die so herausarbeiten, dass es einen Sinn ergibt und am Ende eine interessante Geschichte erzählt wird? Kann ich die so mit Leben füllen, dass sie lebendig werden? Vor diesen Problemen steh ich am Anfang immer. Oder kurz: wie möchte ich das alles erzählen? Es ist nie einfach und manchmal verzweifelt man auch und ist unglücklich und stellt sich die Frage, warum man das überhaupt macht. Aber ganz ehrlich: ich wüsste nicht, was ich sonst machen würde. Schreiben ist eine Sucht, ein Verlangen, ein innerer Drang und selbst wenn ich ein Projekt abgeschlossen hab, dann überlege ich schon wieder, was ich neues mache. Dann ist man auf der Suche und ist unruhig und schon jetzt, wo ich ein Buch fertig habe, habe ich eine relativ konkrete Idee, sogar schon mit ein paar Seiten Text und einem ziemlich festen Handlungsablauf und ungefähr drei, vier andere Skizzen für mögliche Bücher. Aber da braucht es natürlich Zeit, um hinzuschauen, was passen könnte oder woran ich das Interesse verliere, weil es doch nicht so stimmig ist. Und außerdem ist das vergangene Projekt nun eine Woche alt und da muss ich auch noch Zeit vergehen lassen, damit die Personen in den neuen Geschichten nicht so sind wie die in den alten.
Ihr Romandebüt „Tannöd“ war unglaublich und auch unerwartet erfolgreich. Trotzdem ist das nicht Ihr „bestes“ Werk. Haben Sie ein Buch, das Sie als „Lieblingsbuch“ bezeichnen würden, egal ob Sie es selbst geschrieben haben oder nicht? Oder gibt es ein Werk, mit dem Sie besondere Erinnerungen verbinden?
Andrea Maria Schenkel: Bei meinem Werk verbinde ich nicht unbedingt mit einem ganzen Buch, sondern mit bestimmten Szenen gewisse Erinnerungen, die dann bei einem bleiben und einen auf immer und ewig an das Buch binden. „Kalteis“ war lange Zeit mein Lieblingsbuch von meinen Büchern. Heute ist auch „Finsterau“ von Bedeutung, weil es in England so großen Erfolg gefeiert hat. Und dann habe ich natürlich die intensivste Bindung an das, was ich zuletzt geschrieben habe, weil ich da in der Materie so drin bin.
Bei Werken fremder Autoren muss ich natürlich Dürrenmatt erwähnen. Also die Klassiker. Ich möchte aber auch sagen, dass es nie ein besseres Theaterstück gegeben hat als „Richard III“ von Shakespeare. Da ist alles drin, was eine Geschichte haben muss wie Liebe, Tod und Verrat. Und bei diesen ganzen menschlichen Abgründen schafft es Shakespeare, dass der Leser und Zuschauer die Hauptfigur, die er eigentlich hassen muss, nicht anders kann als ihn zu lieben. So eine Figur zu erschaffen ist einfach genial.
Interview: Benedikt Ströher
Fotos: Georg Schraml