Habe die Ehre: Helmut Emmeram Wanner

Helmut Emmeram Wanner

Interview Helmut-Emmeram Wanner – Brückengespräch am 16. November 2015

Als Journalist sind Sie mit Ihren Beiträgen vielen Menschen bekannt, aber nur wenige Menschen der Öffentlichkeit, so nehme ich an, wissen etwas mehr über Sie persönlich. Können Sie an dieser Stelle ein wenig von sich erzählen, so dass die Leser wenigstens in Eckdaten über Sie Bescheid wissen?

Helmut Emmeram WannerHelmut Emmeram Wanner: Ein Wesenszug von mir ist, dass ich ein Regensburger bin, hier geboren bin, nie weggegangen bin. Hier aufgewachsen und zur Schule gegangen bin; hier studiert und geheiratet; meine Kinder sind hier zur Welt gekommen. Und seit 35 Jahren bin ich beim gleichen Unternehmen: der „Mittelbayerischen Zeitung“. Das ist für mich so ein Eingewurzeltsein in der Region und ich glaube, nur wenn man irgendwo eingewurzelt ist, kann man auch gute Arbeit leisten, weil man dann das, was man tut, durchdringen kann. Das war meine Entscheidung.

Seit 1979 bin ich verheiratet, habe drei Kinder, zwei Söhne und eine Tochter und das älteste Kind ist 35. Seit einem Jahr bin ich Opa einer Josephine und die macht mir eine große Freude. Wir wohnen in Bad Abbach, weil es in Regensburg mit Kindern einfach zu teuer war.

Das neue Verlagsgebäude der MZ ist heute knapp 2 ½ Jahre alt; die Mittelbayerische selbst wurde vor ein paar Wochen junge 70. Genau in der Mitte reihen Sie sich ein mit Ihren vielen Dienstjahren. Wie sieht Ihr beruflicher Alltag aus und was bereitet Ihnen auch heute noch so richtig viel Freude an Ihrer Arbeit?

Helmut Emmeram Wanner: Was mir große Freude bereitet an der Arbeit:.das ist die Arbeit. Da hab ich mir über all die Jahre einen Freiraum erkämpft: das Konzentrieren auf Menschengeschichten. Alles, was in der Stadt passiert, das kann man am besten am Menschen ablesen. Nicht die Nachricht an sich ist wichtig, sondern wie wirkt das Ganze auf den Einzelnen. Was hat das für Folgen bei der Bevölkerung? Wenn ich Menschengeschichten schreib´, dann besuch´ ich die Menschen in ihrem Umfeld, weil sie sich da viel sicherer fühlen und so geben, wie sie sind.

Und diese Arbeit macht mir Spaß, vor allem, weil ich draußen sein kann. Eher nicht drinnen im Gebäude, weil sich der Alltag im Vergleich zu meiner Anfangszeit bei der „Woche“ so stark verändert hat, dass ich das kaum glauben kann.

Ich habe dort am 01. Dezember 1980 angefangen und habe dort eine Schreibmaschine benutzt, aber eine ohne Motor. Kurz darauf kam eine IBM und es war so, dass wir vollkommene Freiheit hatten. Wir mussten nur an einem bestimmten Wochentag für die „Woche“ Geschichten abliefern und wie wir zu diesen Geschichten gekommen sind, war egal. Da haben wir uns richtig reing´hängt. Dass ich dort arbeiten konnte, war mein großes Glück! Josef Titz hat mich da gefördert und mein Talent erkannt. 1984 bin ich dann zur „Mittelbayerischen“ gewechselt. – im Prinzip hab ich schon immer gemacht, was ich jetzt mache, aber jetzt darf ich es auch machen. Jetzt darf ich die Geschichten über die Menschen schreiben und muss keine Aufträge mehr erledigen. Das, was ich anbiete, wird g´nommen, weil mir meine Arbeitgeber vertrauen und das ist eine große Freiheit.

Sehe ich Sie manchmal in der Stadt unterwegs, so fällt mir nicht nur Ihr Hut auf, den Sie – zumindest, wenn ich Sie sehe – immer zu tragen scheinen. Ihre Erscheinung ist meiner Meinung nach auch stark geprägt von der Gelassenheit, mit der Sie im bunten Treiben der Stadt unterwegs sind. Ergänzt scheint diese durch Ihre körperliche Größe, die Ihnen als eine Art Beobachtungspunkt dient und Sie die Dinge auch mal mit etwas Distanz betrachten lässt. Sind das, also Ruhe und unaufgeregte Sachlichkeit auch Merkmale Ihres Wirkens? Oder was gehört für Sie zu Ihrem Stil als Journalist?

Helmut Emmeram WannerHelmut Emmeram Wanner: Das stimmt schon: Ruhe und Gelassenheit den Dingen gegenüber – das ist die Grundlage, um sich nicht vorwärts treiben zu lassen von irgendwelchen Ereignissen.

Meine Größe ist etwas, an das ich mich erst langsam gewöhnen musste. In der Schule war ich eigentlich immer in der letzten Reihe. Ich war einer der kleineren – und dick! Und – fast über Nacht, also in den großen Ferien, bin ich plötzlich angestoßen, als ich in den Bus eingestiegen bin. Mittlerweile habe ich das aber als Beobachtungspunkt erkannt. Wenn ich z.B. über die „Dult“ gehe, dann schwebe ich fast wie ein Vogel über den Menschenmassen. Das ist schon was Schönes.

Und die Gelassenheit hab´ ich erst erhalten, als ich meinen Glauben wiedergefunden hab´. Den Glauben meiner Kindheit habe ich abgelegt und irgendwann wieder aufgenommen und das gibt mir die Gelassenheit. Dieses Leben aus einer Verbindung zu Gott, zu Jesus. Das kann ich für mich so sagen. Und das praktizier´ ich auch täglich. Bevor ich aus dem Haus gehe, lese ich in der Bibel und mach´ mir meine Gedanken; lass´ mich führen und überlass den Tag bewusst dem lieben Gott. Und das sogar zweisprachig. [Anm.: Herr Wanner lacht dabei!] Ich lerne nebenbei ein wenig französisch. Da hab´ ich eine französische Bibel und in der lese ich jeden Tag den Psalm 4, bis ich ihn auswendig kann und das trägt mich.

Gleichzeitig ist diese Gelassenheit auch ein innerer Kampf, denn eigentlich bin ich ein panischer, eher ängstlicher Mensch. Und diese Gelassenheit ist das Gegengewicht, der Ausgleich dafür. Normalerweise bin ich sehr schnell in einer panischen Haltung. Die äußere Ruhe täuscht ein wenig. Das ist mein ewiger, innerer Kampf, damit ich die Gelassenheit auch leben kann und da bin ich auch noch nicht am Ende. Ich bin schon ein wenig weiter, aber es ist auch noch ein Weg vor mir.

Wie war das genau, als Sie den Kinderglauben abgelegt haben? Wie alt waren Sie da?

Helmut Emmeram Wanner: Als Kind hatte ich einen ganz starken Glauben. Meine Erstkommunion war mir z.B. sehr, sehr wichtig. Da hatte ich so was wie ein Erleuchtungserlebnis und ich war so enttäuscht, dass bei meinen Onkeln und Tanten nur das Fest und die Geschenke im Vordergrund waren und sie gar keinen Sinn für mein Erleben gehabt haben. Später dann – ich bin in den 1950er aufgewachsen – bin ich aufs Gymnasium gekommen und das war für mich wie ein Kulturschock. Und über die späte 68er-Bewegung hab´ ich mich auch vom Glauben distanziert, aber auch von dem ganzen Angstbesetzten. Mein Glaube war sehr angstbeladen, weil meine Mutter aufgrund ihrer Geschichte viel Angst hatte. Und als ich geheiratet hab´ und meine Tochter geboren wurde, da ist mein Glaube wieder in mein Leben hereingetreten. Durch dieses andere Bewusstsein für´s Leben hat sich wieder etwas entwickelt und aufgebaut.

Mit Blick auf die letzten 10 Jahre ist die Zahl der verkauften Auflagen der Mittelbayerischen konstant gefallen. Ein Trend, den die Printausgaben wahrscheinlich aller Zeitungsverlage so bestätigen. Durch das schnelllebige Konsumieren von Neuigkeiten über das Internet ist diese Entwicklung auch verstehbar. Das wiederum heißt für die Verlage, ebenfalls möglichst aktuell zu sein – in welchem Medium auch immer. Ich kann mir vorstellen, dass dieser Lebenspuls auch bei den Journalisten ankommt. Worauf legen Sie bei allem Verständnis für den Zeitgeist jedoch besonders Wert? Für welche Werte und Überzeugungen stehen Sie ein?

Helmut Emmeram WannerHelmut Emmeram Wanner: Die Auflagenentwicklungen der Zeitungen sind allgemein rückläufig, aber bei der „Mittelbayerischen“ ist es immer noch so, dass wir bei der Auflagenentwicklung eine der besten sind und die Rückläufe im Vergleich minimal sind.

Ich fühl mich auch in der modernen Gesellschaft wie ein Schiff im Meer. Und auch bei den neuen Medien kommt es auf den Journalismus an. Deswegen hab ich auch keine Angst vor den neuen Medien oder der neuen Zeit, denn es hängt nicht nur an „Echtzeit“ und „Klickzahlen“. Das sehe ich besonders an dieser so ruhigen Geschichte vom „Kapitän“ [Anm.: „Rumsrüttelkoog liegt an der Donau“ vom 20. September 2015], die fast wie aus der Welt gefallen wirkt. Dem „Kapitän“ bin ich fünf Jahre nachgelaufen und im Sommer hab ich mich einfach neben ihn gesetzt, ein „Selfie“ mit ihm gemacht und dann hat er mir seine Geschichte erzählt und die hab ich aufgeschrieben. Diese Geschichte ist in der Öffentlichkeit durch die Decke gegangen; die meistgeklickte Geschichte in diesem Quartal bei der „Mittelbayerischen“ mit über 50.000 Lesern und 500 Kommentaren. Man ist also erfolgreich, wenn man bei dem bleibt, was man kann; durch Authentizität und das Bemühen um Wahrhaftigkeit. Und wenn man einen inneren Anker hat, lässt man sich auch nicht aus dem Gleichgewicht bringen.

Unser Format, in dem ich Sie heute interviewen darf, nennt sich ja „Brückengespräche“ und möchte Regensburger Bekanntheiten auch mal von ihrer persönlichen Seite zeigen. In Ihrem Format „Habe die Ehre“ porträtieren Sie jedoch nicht nur die Größen der Region, sondern vor allem die originellen Normalbürger. Wann ist jemand für Sie eine reizvolle Persönlichkeit und was reizt Sie, anderen Menschen darüber zu berichten? Woher kommt Ihr Blick für das Besondere an den Menschen des Alltags?

Helmut Emmeram Wanner: Da muss ich wieder in meine Kindheit zurückgehen. Ich habe festgestellt: die „Mittelbayerische“ war mir schon immer wichtig, denn ich bin aus einem illiteraten Elternhaus gekommen. Mein Vater war faktisch ein Analphabet. Durch den ersten Weltkrieg konnte er die Schule nicht vollenden und deswegen war für ihn, wie für meine Oma, die Berichterstattung in der Zeitung besonders wichtig. Und solchen Menschen möchte ich durch mein Tun eine Bedeutung beibringen. Deswegen interviewe ich auch keine 1A-Promis, sondern höchstens 2B. Ich will niemanden, der sich nur selber darstellen möchte. Da ist mir jeder Mensch auf der Straße wichtiger, denn jedes Leben von jedem Menschen ist interessant. Man muss es nur entdecken.

Für mein Buch „Habe die Ehre“ wurden nur die Berühmten rausgesucht, aber das ist gar nicht so meins. Es gibt genügend Leute, die über die Promis berichterstatten. Aber natürlich gibt es auch Menschen, die berühmt sind und trotzdem gute Menschen sind; da möchte ich nicht ausschließen.

Helmut Emmeram WannerWas macht für Sie eine Person originell und damit reizvoll?

Helmut Emmeram Wanner: Das ist manchmal schwer zu sagen. Diese Personen müssen eine Geschichte zum Erzählen haben oder einen Widerspruch in sich tragen, mit dem sie kämpfen. Konkret denk ich dabei z.B. an den Mann, über den ich vor kurzem berichtet habe, weil er jeden Tag von früh bis spät am Grab seiner Frau sitzt. Mit ihm bin ich auf der Bank gesessen, hab mir eine Banane geteilt und da haben wir uns unterhalten. Der hat vielleicht keine besondere Vita, war ein normaler Handwerker und ehemaliger Berufssoldat. Aber er hat halt diese besondere Geschichte mit seiner Frau, die er 13 Jahre lang gepflegt hat. Und dieses Besondere entdeckt man erst, wenn man mit den Leuten eine Zeit lang geredet hat.

Mit den Anschlägen von Paris gibt es wieder ein Ereignis, das – völlig zu Recht – die Nationen des Westens, deren Bevölkerung und deren Medienlandschaften lange Zeit beschäftigen wird. Zu schrecklich und plötzlich das Ereignis, zu groß der Schock unter den Menschen. Was möchten Sie darüber hinaus auch noch in den Zeitungen lesen? Wofür möchten Sie die Leser sensibilisieren und Aufmerksamkeit erzeugen? Und was ist Ihr innerer Auftrag, mit dem Sie Ihre Arbeit tun?

Helmut Emmeram Wanner: Ich möchte in der Zeitung lesen, wie die Entscheidungen und Ereignisse „von oben“ bei den Menschen „unten“ ankommen; was diese bei ihnen bewirken. Wie spüren die Leute das? Wie reagieren sie darauf? Wie verändert dieses oder jenes ihr Leben? Also: basisorientierte Berichterstattung. Das heißt aber auch, dass man raus gehen und auf die Leute vor Ort zugehen muss, wovor ich – komischerweise – keine Scheu habe. Wenn ich mir ein eigenes Bild mache, kann ich den Menschen auch eine Hilfe anbieten, sich eine eigene Meinung zu machen. Verlautbarungsjournalismus funktioniert meiner Meinung nach nicht und wird von den Menschen auch nicht akzeptiert. Da werden nur selbstgefertigte Meinungen und eigene Geschichten gelesen, zu denen man steht und die nicht einfach, dem vermeintlichen Mainstream entsprechend, übernommen wurden. Ich möchte Wahrhaftigkeit in der Zeitung haben.

Und zu meinem inneren Antrieb: bei mir gibt es kaum eine Trennung zwischen Arbeit und Privatleben. Wenn ich Urlaub hab, besuche ich Leute, rede mit ihnen und schreib in mein Tagebuch, was sie mir erzählt haben. Und wenn ich in die Arbeit gehe, bekomme ich für die gleiche Arbeit Geld und es wird von den Menschen gelesen. Das andere, in meiner Freizeit, schreib ich nur auf. Ich bin praktisch immer am Schreiben, weil sonst versteh´ ich die Welt nicht.

Helmut Emmeram Wanner

Gerade in Tagen wie diesen, nach Ereignissen wie diesen in Frankreich, gibt es viele Menschen, die verzweifelt den Blick nach oben richten und eine Antwort darauf möchten, warum so etwas passieren musste. Sie als Journalist blicken ja auch gezielt auf solche umstürzende Erlebnisse. Gibt es für Sie als Mensch mit Sinn für das Spirituelle trotzdem noch eine Ordnung, die das ganze irdische Treiben von innen oder außen zusammenhält oder ist alles dem Zufall und Schicksal überlassen?

Helmut Emmeram Wanner: Als ein Mensch, der die Bibel liest, sehe ich da schon eine Ordnung. In meinen Augen leben wir – was ich leider weder von der katholischen noch der evangelischen Kirche höre – in einem endzeitlichen Prozess. Vielleicht nähern wir uns einer Apokalypse. In unserer Gesellschaft leben wir die Umwertung aller Werte: das Bild der Familie, das Bild des Geschlechtes – alles wird in Frage gestellt. Da gibt es alle Formen und Möglichkeiten. Diese Auseinandersetzungen in Paris und anderenorts sind für mich der 3. Weltkrieg, bloß in einer neuen Form, in der man es gar nicht wahrnimmt. Jederzeit kann überall eine Bombe explodieren. Und deswegen müssen sich die Menschen, die einen inneren Halt haben, zusammenschließen und erkennen, was da los ist. Und da geben gerade die Kirchen keinen Halt, weil sie sich viel zu sehr an dem orientieren, was der Staat sagt. Ob es nun Reinhard Marx [Anm.: katholisch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz] oder Bedform-Strohm [Anm.: evangelischer Landesbischof] ist. So sehe ich einen starken Riss durch alle Nationen, Gesellschaftsschichten und Kirchen. Und von manchem muss ich mich einfach distanzieren und muss es auch ausblenden. – Ich sehe da eine teuflische Ordnung dahinter, auch wenn ich das als Katholik ja eigentlich nicht sagen dürfte. Aber ich sag´s trotzdem.

Helmut Emmeram WannerAuf Ihrem schon angesprochenen Buch „Habe die Ehre“ sind Sie mit einem Hut abgebildet, den Sie ehrfurchtsvoll ziehen. Auch auf dem Bild, das Sie mir für das Bewerben des heutigen Interviews zugeschickt haben, sind Sie mit Hut zu sehen. Hat Ihr Hut schon Symbolcharakter? Oder gibt es etwas anderes, das Ihnen zum Symbol für Ihr Sein geworden ist?

Helmut Emmeram Wanner: Der Hut als Symbolcharakter – nein, es ist eher ein persönlicher Ausdruck. „Habe die Ehre“, da sag ich, dass ich dem andern die Ehre gebe; den anderen wertschätze. Ich komme aus einer Bewegung in den 60er/70er-Jahren, in der alles umgestürzt und verändert wurde. Mit „Habe die Ehre“ – die Idee zum Titel kam übrigens von meiner Frau – erkenn ich den anderen an und möcht ihm nichts Böses. Aufgrund dieser Serie habe ich viele Freunde und stehe mit anderen immer noch in Kontakt. Der Hut ist zum Ziehen da; nicht, dass ich ihn aufhab´.

 

Und wie immer zum Schluss: Das obligatorische „Bruckmandl“:

Helmut Emmeram Wanner

Interview: Benedikt Ströher
Fotos: Georg Schraml

 

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