Michael Buschheuer – wir wollen auch ein bisschen die Menschlichkeit retten

Michael Buschheuer

Brückengespräch am 06. April 2016 im Biomarkt Neuhoff

Michael, in den Zeitungsartikeln wird geschrieben, dass die „MS Sea Eye“, dein Schiff, das derzeit wohl bekannteste Schiff Deutschlands ist. Fast alle überregionalen und regionalen Medien berichten über euer Vorhaben, im Mittelmeer Menschen zu retten, doch über dich selbst erfährt man wenig.

In diesem Interview soll es deswegen diesmal auch um dich, deine Person, deine Werte und Motive gehen. Um all das also, wofür damit auch der ganze Verein „Sea Eye e.V.“ steht. Deswegen meine erste Frage an dich:

Du bist nicht nur heute, sondern jetzt schon über viele Wochen und Monate auf vielen „Baustellen“ unterwegs. Wie war dein Tag bisher und wo steckst du innerlich gerade? Und wo kommst du eigentlich her? Bist du schon immer in Regensburg?

Michael BuschheuerMichael Buschheuer: Der Tag bisher war sehr gut. Er hat begonnen mit einem etwas kurz gefassten Frühstück und ist dann weitergegangen mit einem ausführlichen Interview mit „n-tv“, was den halben Tag verschlungen hat. Ansonsten war der Tag aber sehr, sehr angenehm. – Gebürtig stamm ich aus Mallersdorf in Niederbayern und bin seit 13 Jahren Wahlregensburger. Ganz langsam hab ich mich hier eingeschlichen und dann irgendwann gemerkt, dass ich angekommen bin.

Hauptberuflich leitest du eine Firma für Korrosionsschutz. Du wirkst auf mich aber eher wie einer, der es gewohnt ist, mit anzupacken. Was zeichnet dich in deinem Alltag in der Firma oder auch im Privatleben aus? Und was erlebst du, wenn du dich nicht für deine Firma, deine Familie oder deinen Verein engagierst?

Michael Buschheuer:  Also wenn ich mich nicht für Familie, Verein oder Firma engagiere, bleibt nichts mehr übrig … [Anm.: MB lacht herzlich]. Beruflich bin ich sehr engagiert und meine Familie ist jung, was bedeutet, dass ich viel Zeit mit ihr verbringe – und was hoffentlich auch der Fall ist, wenn es eine ältere Familie wird. Und der Verein, ja, der frisst momentan jede freie Minute, so dass ich über anderes Engagement über diese drei „Projekte“ hinaus nichts sagen kann.

In einem Zeitungsartikel habe ich davon gelesen, wie der Journalist davon erzählt, dass du nach einer Frage oder im Gespräch einfach mal sekundenlang nur Blickkontakt aufnimmst und schaust. Auch mir ist diese kraftvolle Art von dir schnell aufgefallen, die aus einer inneren Ruhe zu kommen scheint. Wie würdest du dich denn charakterisieren? Wie bist du und was von dir fällt vielleicht erst dann auf, wenn man dich ein wenig länger kennt?

Michael Buschheuer: Es kann eine tiefe, innere Ruhe sein, vielleicht bin ich aber einfach nur langsam … [Anm.: wieder allg. Lachen]. Manche Menschen ordnen meinen Dialekt zum Beispiel dem Österreicher zu, weil ich sehr langsam spreche. Vielleicht ist es also nicht so tief, wie man denkt – selbst lässt sich das schwer beurteilen. Aber ich denk schon über die Dinge nach bevor ich antworte, zumindest meistens.

Und wie charakterisierst du dich selbst noch?

Michael BuschheuerMichael Buschheuer: Ich bin ein nachdenkender Mensch, das stimmt schon. Nicht immer und in allen Bereichen, aber ich versuche die Dinge eher tiefer zu betrachten. – lieber weniger Dinge tief betrachten, als viele oberflächlich.

„Der gute Mensch von Regensburg“ – diese Schlagzeile hat mich besonders angesprochen, als ich mich auf unser Interview vorbereitet habe. Ich kann mir vorstellen, dass das auch ein wenig stolz macht, wenn man so was über sich in der Zeitung liest. Was ist dir als Mensch wichtig und warum? Worauf achtest du selbst bei anderen? Wofür stehst du auch mit deinem Verein?

Michael Buschheuer: Das kann schon stolz machen, ja. Aber wenn ich darauf schaue, worauf sich diese Schlagzeile bezieht, dann sehe ich das auch wieder differenziert. Der Grund für diese Schlagzeile ist, dass es absurd erscheint, von Regensburg aus sich auf den Weg ins Mittelmeer zu machen und dort was zu unternehmen. Dazwischen liegen halt ein paar Tausend Kilometer, die aber auch ein jeder im Urlaub auf sich nimmt und was ich dann vor Ort mache ist nichts anderes als das, was jeder macht, der sich bei der Freiwilligen Feuerwehr oder im Schwimmbad als Bademeister engagiert. Ich nehm eine Rolle in der Gesellschaft ein, in der ich mal etwas tue, was nicht für mich selbst ist. Das ist eigentlich nichts Außergewöhnliches. Im Gegenteil: ich versuche eigentlich immer zu erklären, dass es außergewöhnlich ist, dass nicht noch mehr Leute diesen Platz in der Gesellschaft einnehmen. Aber es ist eigentlich nichts besonderes, ein paar Stunden seiner Zeit für ein ehrenamtliches Projekt zu verwenden und das machen neben mir in Regensburg vielleicht noch 120.000 andere Menschen.

Und mit dem Verein geht es mir schon darum, eine gewisse Menschlichkeit zu erhalten. Ich bin ein wertebasierter Mensch. Ich habe keinen supermoralischen Anspruch, aber ich habe ein Grundverständnis von bestimmten Werten und ich bin der Meinung, dass wir in dieser sich schnell verändernden Welt viel zu viele Werte schnell mit den Füßen treten. Bei kleinsten Problemen beginnen wir über die Grundfundamente zu diskutieren und ich trete dafür ein, Werte, besonders ideelle Werte zu erhalten; eine Wertegesellschaft zu erhalten. Wir wollen im Mittelmeer nicht nur Menschen retten, sondern wollen gern auch ein bisschen die Menschlichkeit retten. Wir würden gerne zeigen, dass nicht alle Leute wegsehen, sondern dass man sich einem Problem zuwenden kann und das anpacken kann. Mit meinem Verein stehe ich für den Grundwert der „Menschlichkeit“ ein. Wir diskutieren in Europa Probleme der Migration, vergessen aber, die Leute aus dem Wasser zu holen. Fast alle Nationen schauen bewusst weg und meinen, sie seien nicht zuständig dafür. Unbewusst verschenken wir damit aber unsere Menschlichkeit und irgendwann werden wir uns fragen müssen, warum wir da nichts getan haben, obwohl es doch so einfach war.

Michael BuschheuerBei anderen Werten, die ich meine, spreche ich z.B. von unserem Europa, das wir mühevoll aufgebaut haben. In der Krise wird die Solidarität in Europa schnell vergessen. Griechenland und Italien werden sich selbst überlassen mit den Flüchtlingen und auch Deutschland wird sich selbst überlassen mit seiner ideellen Ansicht. Die anderen ziehen sich zurück. Wir ziehen uns natürlich auch gegenüber Italien und Griechenland zurück. Diese Grundwerte werden viel zu schnell über Bord geworfen. Beispielsweise wurde schon am Anfang der Flüchtlings„krise“, wenn man das so überhaupt nennen sollte, über eine Veränderung des Asylrechts gesprochen. Meinem Wissen nach ist dieses Recht 80 Jahre alt. Das haben Leute durchgekämpft, die wesentlich größere Nöte hatten als wir. Wir haben jetzt keine Not, aber ein bisschen Bauchweh und schon beginnen wir, am Fundament zu rütteln, weil wir die Wichtigkeit schnell vergessen haben; weil wir die Tragfähigkeit dieser Werte im Alltag nicht mehr erleben. Aber die dürfen wir einfach nicht vergessen: sei es die Freiheit oder das Recht auf eine gewisse Sicherheit; das Recht, sich frei zu bewegen – dem allen wird schnell ein zu geringer Platz zugewiesen.

Ein „Anpacker“, ein „guter Mensch“, Vater, Chef, Lebensretter – das alles bist du, aber das alles sind auch nur Facetten von dir; Teile, die dir entsprechen. Welche Anteile gehören noch unbedingt zu deiner Identität? Was macht dich am meisten aus, welche Seite von dir bekommt am meisten Raum? Und was von dir kommt vielleicht manchmal ein wenig zu kurz, obwohl es dir wichtig an dir ist? Was schlummert da noch?

Michael Buschheuer:  Zu kurz kommt momentan ein wenig die lebensfrohe und humorvolle Seite. Wenn man sich mit einem schwierigen Thema auseinandersetzt, dann liegt das nahe, weil das Thema allgegenwärtig ist und massiv einnimmt. Man kann so ein Projekt nicht schnell in die Ecke stellen, sondern es nimmt einfach das ganze Leben ein und letztlich auch den Platz in der Familie. Es drängt sich kontinuierlich auf. Wenn also eine Seite zu kurz kommt dann ist das die humorvolle, lebensfrohe Seite, was aber auch kein großes Problem ist, weil das Projekt vermutlich nicht ewig dauern wird und man darf auch mal ein Jahr ein wenig ernster, angespannter sein.

Und am meisten gebraucht werden momentan mein Durchhaltevermögen und mein Ehrgeiz, immer am Ball zu bleiben, das Projekt vorwärts zu treiben. Das wird am meisten in den Vordergrund geschoben.

Im April 2015, vor einem Jahr also, hast du dich entschieden, die Augen nicht mehr zuzumachen, sondern etwas zu tun. Mit deinem Verein „Sea Eye e.V.“ machst du dich seither auf den Weg, anderen Menschen das Leben zu retten. Siehst du das Ganze auch vor einem größeren Hintergrund? Wofür möchtest du einstehen mit deinem Leben, deinem Vorbild? Was gibst du deinen Kindern damit an die Hand? Was ist deine Vision?

Michael BuschheuerMichael Buschheuer: Also April 2015 stimmt nicht. Es war später, im Herbst´15, als der Entschluss kam: wir machen die Augen nicht mehr zu. Das haben wir dann in der Familie diskutiert und uns entschieden, dass das geht und wir es einfach versuchen. Meinen Kindern möchte ich das natürlich weitergeben. In meinem Elternhaus habe ich gelernt, dass man Grundwerte fest vertreten darf und das nichts schlechtes ist und das will ich gerne auch weitergeben. Ich bin der Meinung, dass wir mehr als genug Wohlstand um uns haben und da kann ich auch ein paar Prozent meiner Energie, meiner Zeit und meines Geldes in Dinge investieren, die uns wichtig sind. Und das dürfen unsere Kinder dann auch erfahren. Im Moment sind sie noch ein wenig zu klein dafür und können das noch nicht wahrnehmen. Ich mach das, was ich tue, nicht unbedingt vor dem Hintergrund, dass ich meiner Familie etwas mitgeben möchte. Es ist eher so, dass man bei vielen Problemen wegschauen kann, weil man eine Ausrede hat oder weil es einen nicht so tief berührt – ich engagier mich ja auch nicht bei jedem sinnvollen Projekt, von denen es viele gibt. Aber irgendwann steht man selber vor so einem Punkt an dem man sich frägt: willst du jetzt was tun oder nicht? Willst du dich über die Nachrichten immer nur aufregen oder willst du auch mal handeln?

Wenn ich an die Zeit der „Wende“ denk: ich bereue, dass ich dort so jung war und das nicht aktiv miterleben konnte. Und wenn ich heute einen Bericht über den Mauerfall sehe, dann habe ich Gänsehaut und denke mir: Mensch, da hättest viel mehr Zeitgeist erspüren müssen – was nicht ging. Und jetzt ist ein anderer Zeitgeist und an dem will ich nicht vorbeileben, sondern in dem will ich mich aktiv engagieren. Da will ich mich einbringen und aktiv gestalten – sei es als noch so kleines Zahnrad. – Das Bild von dem kleinen Mann, das damals durch die Presse ging und heute so symbolisch ist, ist mir besonders wichtig: als er auf der Mauer gesessen ist und diese mit dem Hammer bearbeitet hat, hat er die bestimmt nicht eingerissen, aber er war mitten dabei im Geschehen. Und ich finde, es ist eine Ehre, wenn man die Chance bekommt, mitten in der Geschichte dabei sein zu dürfen. Und deswegen freue ich mich, dass ich das jetzt wahrnehmen darf. Im besten Falle, wenn´s so läuft.

Zum Abschluss noch ein wenig Raum auch für deinen Verein konkret: wo seid ihr gerade mit dem Schiff? Was braucht ihr? Wie kann die Öffentlichkeit helfen? Was steht als nächstes an?

Michael BuschheuerMichael Buschheuer: Das Schiff ist gerade in Licata, auf der Südseite von Sizilien, etwa 28 Fahrstunden von unserem Einsatzgebiet entfernt. Es ist mehr oder weniger abfahrbereit, aber wie bei jedem Projekt braucht es noch jede Menge Geld für Diesel, ein Ersatzschlauchboot, den täglichen Betrieb, Liegegebühren, Wasser, Lebensmittel und vieles weitere und wir freuen uns natürlich über Leute, die unser Projekt auch persönlich begleiten. Unseren Verein zeichnen die Menschen aus, die einfach etwas machen und das Projekt nach vorne peitschen, sei es durch Medien, durch technische Unterstützung oder Übersetzungsarbeit oder was auch immer. Von solchen Menschen können wir gerne noch ein paar gebrauchen, obwohl die Koordination in der großen Runde immer schwieriger wird. Von der Gesellschaft erwarten wir, dass sie ihren Blick auch nicht abwendet und die Probleme alle einen Topf wirft. Dort vor Ort ertrinken Menschen und zuhause haben wir dann vielleicht Integrationsprobleme zu lösen. Wir erwarten von der Gesellschaft, dass sie diese Probleme trennt und sinnvoll betrachtet.

Und was steht als nächstes an?

Michael Buschheuer: Aktuell findet ab morgen wieder eine Probefahrt statt. Am 28. April haben wir unseren offiziellen Start mit großem Presseempfang vor Ort und Segnung durch einen Priester und Verabschiedung, um dann offiziell auf Einsatz zu gehen. Es haben sich aber auch schon einige Leute gefunden, die auch jetzt schon mal eine Probefahrt machen wollen ins Einsatzgebiet. Das Projekt ist also voll am Laufen. Wir haben uns sozusagen selbst überholt.

Michael Buschheuer

Mehr Infos zu Sea-Eye: www.sea-eye.org

Interview: Benedikt Ströher
Fotos: Georg Schraml

 

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